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Wer labt sich am duftenden Veilchen?

 

Das Tempelhofer Feld – vom Flughafen zum wertvollen Ökosystem

Seit 2010 ist das Tempelhofer Feld für die Öffentlichkeit zugänglich. Es wird nicht nur vielfältig von den Berliner*innen zum Spazieren gehen, Sport treiben oder Picknicken genutzt, sondern hat auch eine große Bedeutung für die Artenvielfalt in der Stadt und beeinflusst als große Kaltluftschneise unser Stadtklima

1. Liegewiese für Mensch und Krabbeltier

Unsere Tour startet am Eingang Südwest gegenüber vom S und U Tempelhof. Am Zaun neben dem Eingang fallen direkt viele Brennnesseln auf – warum die gerade hier wachsen, wird im Laufe der Tour aufgelöst.

Auf dem Weg Richtung Wiesenmeer überqueren wir zuerst eine kurz gemähte Rasenfläche. Als Aktionsflächen werden die Flächen auf dem Tempelhofer Feld bezeichnet, die intensiv genutzt und entsprechend oft, bis zu zehnmal im Jahr, gemäht werden. Diese zeichnen sich durch kurze, strapazierfähige Vegetation aus. Hier finden sich viele Pflanzenarten einer sogenannten Trittrasengesellschaft:  Spitz- und Breitwegerich (Plantago lanceolata und P. major), Schafgarbe (Achillea millefolium), Rot- und Weißklee (Trifolium pratense und T. repens) sowie das Gänse-Fingerkraut (Potentilla anserina) vertragen es, dass sie buchstäblich mit Füßen getreten werden. Die vorherrschenden Gräser sind das Einjährige Rispengras (Poa annua) und das Deutsche Weidelgras (Lolium perenne), die durch die regelmäßige Mahd einen dichten Rasen bilden und ebenfalls sehr trittfest sind.

Dazwischen wachsen Saat-Luzerne (Medicago sativa) und ihre Unterart die Gelbe Luzerne. Beide werden wegen der Form ihrer Früchte auch als Schnecken-Klee bezeichnet und sind eng mit anderen Kleearten verwandt. Sie gehören zu den Hülsenfrüchten (Fabaceae, auch Leguminosen oder Schmetterlingsblütler genannt) und sind damit in der Lage, mithilfe von Knöllchenbakterien an ihren Wurzeln Stickstoff (einen der wichtigsten Pflanzennährstoffe) aus der Luft zu binden und pflanzenverfügbar zu machen. Sie reichern so den Boden mit Stickstoff an und können auch an nährstoffarmen Standorten wachsen. Auch die Pflanzen in ihrem Umfeld profitieren davon. Auf Trockenrasen und anderen mageren Standorten kann das allerdings zum Problem werden. Die Pflanzen dort sind an die kargen Bedingungen angepasst. Werden mehr Nährstoffe eingetragen, fühlen sich plötzlich auch nährstoffliebende Pflanzen wie Löwenzahn wohl. Diese sind aber wesentlich konkurrenzstärker als die zarten Pflänzchen, die nicht viel zum Leben brauchen, und verdrängen diese mit der Zeit. Zu den Blütenbesuchern der der verschiedenen Kleearten zählen vor allem Insekten mit langem Rüssel wie Hummeln und andere Wildbienen und Schmetterlinge, die den tief in den Schmetterlingsblüten verborgenen Nektar erreichen können.

Vereinzelt finden sich hier auch schon Pflanzen, die uns in den Wiesen- und Trockenrasen-Bereichen noch häufiger begegnen werden. Die Dornige Hauhechel (Ononis spinosa) ist ein Halbstrauch, der ebenfalls zu den Hülsenfrüchten gehört. Seine rosa Blüten locken zum Beispiel den Gemeinen oder Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus), der auf dem Feld sehr häufig anzutreffen ist. Aber Vorsicht, die Dornige Hauhechel trägt ihren Namen nicht umsonst und ihre Triebe sind mit langen Dornen besetzt. Der Natternkopf (Echium vulgare) gehört zu den Raublattgewächsen (Boraginaceae) und ist ein wahrer Insektenmagnet. Besonders Hummeln und andere Wildbienen sind hier zu beobachten. Der Natternkopf ist zweijährig, bildet also im ersten Jahr nur eine Blattrose aus, im zweiten Jahr folgen dann die Blüten. Seine Pfahlwurzel kann meterlang werden. So kann er sich auch an sehr trockenen Standorten mit Wasser versorgen und ist häufig auch auf Brachen und an Straßenrändern zu finden. Der Stumpfblättrige Ampfer (Rumex obtusifolius) ist wie der Natternkopf typisch für ruderale Standorte. Als solches werden Standorte bezeichnet, an denen die ursprüngliche Vegetation zerstört wurde und neue, veränderte Bedingungen geschaffen wurden. Aus ihnen können sich jedoch wertvolle Ersatzlebensräume entwickeln. Pflanzen, die sich hier als erste ansiedeln, werden wie der Ampfer häufig als „Unkräuter“ angesehen. Für manche Insekten ist er jedoch von großem Wert und dient zum Beispiel als Raupenfutterpflanze für Feuerfalter und andere, teils gefährdete Falter. Wanzen saugen gerne an den noch nicht ausgereiften Samen.

2. Wiesenmeer: Frischwiese

Die großen Wiesenflächen im zentralen Bereich des Feldes zwischen den Landebahnen werden von März/April bis August abgesperrt, um die hier brütenden Feldlerchen (Alauda arvensis) zu schützen. Als Bodenbrüter legen die Feldlerchen ihre Nester in selbstgescharrten Mulden an, die in der nicht zu dichten Vegetation gut geschützt sind. In der heutigen intensiv genutzten Agrarlandschaft findet der einst häufige Feldvogel nicht mehr viele geeignete Nistplätze und ausreichend Nahrung (Insekten), daher ist der Bestand der Feldlerche seit den 1980er Jahren stark zurückgegangen und sie gilt als gefährdet. Auf dem Tempelhofer Feld finden die Vögel alles, was sie brauchen: große Offenflächen (Wiesen), Insekten im Sommer und im Winter Samen als Nahrung und weitestgehend ungestörte Nistplätze. Die Tempelhofer Feldlerchen machen daher fast die Hälfte des Berliner Bestandes aus.

Die Feldlerche ist eine sogenannte Leitart auf dem Tempelhofer Feld: die Pflegemaßnahmen sind auf ihren Schutz ausgerichtet. Davon profitieren jedoch auch viele andere Arten. Turmfalken (Falco tinnunculus) finden hier ein optimales Jagdrevier und sind häufig zu beobachten.

 „Frisch“ bezieht sich hier auf die Bodenfeuchte: diese liegt zwischen trocken und feucht. Frischwiesen setzen sich je nach Standortbedingungen und Pflege aus hohen Gräsern und verschiedenen Kräutern (Wildblumen). Das dominante Gras ist hier der Glatthafer (Arrhenatherum elatius). Auch das Knaulgras (Dactylus glomerata) kommt hier häufig vor und ist auch für Laien gut an seinen im Umriss dreieckigen, zusammengeknäulten (Name) Blütenrispen zu erkennen.

Zwischen den hohen Gräsern finden sich verschiedene Blütenpflanzen. Häufig vertreten ist hier die Zottelwicke (Vicia villosa), die der Vogelwicke ähnlich sieht, sich aber durch ihre Behaarung unterscheidet. Die Sichelmöhre (Falcaria vulgaris) gilt zwar nicht als gefährdet, ist in der Stadt aber nicht so oft anzutreffen. Auf dem Tempelhofer Feld sieht man den Doldenblütler umso häufiger. Charakteristisch sind ihre gesägten Blätter, mit denen sie sich von anderen Doldenblütlern (Apiaceae) abhebt. An ihren weißen Blüten tummeln sich ab Juli verschiedene Insekten. Wildbienen, aber auch Schwebfliegen und Käfer gehören zu ihren Bestäubern.

Die Wiesen werden hier einmal im Jahr gemäht, nach dem Ende der Brutzeit im August. Diese einschürige (einmal jährliche) Mahd ist notwendig, um die Wiese zu erhalten. Ohne Mahd würde die Wiese über die Zeit verbuschen und zu einem Wald werden. Zwar sind auch Wälder wichtige Lebensräume, gerade große Offenlebensräume wie auf dem Feld sind aber selten geworden und Lebensraum zahlreicher spezialisierter Arten. Um den hier lebenden Tieren Rückzugsmöglichkeiten zu belassen, wird nicht alles auf einmal gemäht. Beim Laufen entlang des Randes wird die Vielzahl verschiedener Heuschrecken deutlich, die hier einen Lebensraum finden und vor unseren Füßen davon hüpfen.

3. Trockenrasen

Auch wenn sie nicht mehr überall in optimaler Ausprägung vorhanden sind, finden sich auf dem Tempelhofer Feld wertvolle Trockenrasen-Areale. Typisch für sie ist eine lückige, eher kurze Vegetation. Die Pflanzen hier sind an extreme Bedingungen angepasst und trotzen Trockenheit, Hitze und Nährstoffarmut. Die Sand-Grasnelke (Armeria maritima ssp. elongata) ist eine dieser Spezialistinnen. Ihre schmalen Laubblätter ähneln Grashalmen. Die rosa Blüten sind bei Wildbienen und Schmetterlingen beliebt. Deutschlandweit gilt sie als gefährdet, auf den Berliner und Brandenburger Sandböden ist sie noch häufig anzutreffen.

4. Weidefläche

Die dauerhaft eingezäunte Feldlerchen-Schutzzone wird von rund 100 Schafen, hauptsächlich Skudden (einer alten, robusten Haustierrasse), beweidet. Gegenüber der Mahd hat dies den Vorteil, dass keine Insekten den großen Maschinen zum Opfer fallen und die Schafe nicht alles auf einmal abfressen. Schafe fressen außerdem selektiv, suchen sich also erst einmal die Pflanzen aus, die sie besonders gerne fressen. Über Zeitpunkt der Beweidung und die Dauer und Anzahl der Schafe kann, je nach Entwicklungsziel, die Pflanzenzusammensetzung gesteuert werden. Auf dem Tempelhofer Feld wird die Beweidung derzeit noch erprobt und in einem jährlichen Monitoring überwacht.

5. Versiegelte Flächen und Randbereich

Zurück geht es auf dem äußeren Rundweg wieder in Richtung Haupteingang. Hier fällt auf, dass sich auf vielen der versiegelten Flächen eine dünne Bodenschicht gebildet hat. Einige hartgesottene Pflanzen konnten sich auch hier ansiedeln. Der Mauerpfeffer ist mit wenigen cm Boden absolut zufrieden – er wird deshalb auch für die Dachbegrünung eingesetzt. Auch Grasnelken sind hin und wieder anzutreffen. Manche Pflanzen wie der Natternkopf, verschiedene Kleearten, Finger- und Leimkräuter finden in Fugen ebenfalls genug Platz, um hier zu gedeihen. Hier begegnet uns vermeht das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens). Anders als das wegen seiner Giftigkeit für Weidetiere in Verruf geratene Jakobs-Greiskraut (oder Jakobs-Kreuzkraut) ist dieses tatsächlich invasiv. Es stammt aus Südafrika und ist heute eines der häufigsten Greiskräuter in Mitteleuropa. Dies ist problematisch, da es sich stark ausbreitet und andere heimische Pflanzen verdrängt.

Entlang des Zauns hat sich mit dem Essigbaum eine weitere invasive Pflanzenart breit gemacht. Neben Brombeeren (Rubus sp.) und Hopfen (Humulus lupulus) wachsen hier wieder viele Große Brennnesseln (Urtica dioica). Sie sind in Nährstoffzeiger. Große Bestände deuten meistens auf eine hohe Stickstoffversorgung hin – sie wachsen also gerne da, wo sich Mensch und Tier häufig erleichtern. Problematisch ist das dort, wo andere, an Nährstoffarmut angepasste Pflanzen durch sie verdrängt werden. Durch den Nährstoffeintrag haben auf ehemals kargen Flächen auch nährstoffliebende Pflanzen wie Brennnessel oder Löwenzahn plötzlich eine Chance und sind deutlich schnellwüchsiger und konkurrenzstärker als Grasnelke & Co. Grundsätzlich ist aber auch die Brennnessel eine wichtige Insektenpflanze. Die Raupen vieler Schmetterlinge, darunter u.a. Admiral und Kleiner Fuchs, sind für ihre Entwicklung auf sie als Futterpflanze angewiesen.

Weiterführende Links

Biotopkarte Tempelhofer Feld